Sonntagskonzerte 2022 - Rezensionen

Hier finden Sie die Rezensionen der Sonntagskonzerte 2022 in voller Länge.

Sonntagskonzert Nr. 2 - Winds of Connection

Was für ein passender Konzerttitel: „Winds of Connection“! Die drei Berliner Chorensembles Bulcanto (Leitung: Boryana Velichkova), Coro Contrapunto (Leitung: Catalina Restrepo) und tonraumfünf10 (Leitung: Christopher Bradley) haben unter dem aktuellen Eindruck lauten Kriegsgeschreis und vier Tage vor dem Beginn der russischen Invasion in der Ukraine musikalisch demonstriert, dass Austausch und ein friedliches Miteinander von Kulturen, Völker und Nationen nicht nur möglich sind, sondern auch nötiger denn je.

Den Anfang gestaltete Bulcanto, einem Ensemble, das aus dem bulgarisch-orthodoxen Chor und dem Frauenchor Bulgarian Voices hervorgegangen ist. So waren denn auch traditionelle bulgarische Musik und orthodoxe Kirchenmusik unbefangen nebeneinander zu hören. Die 22 Sänger*innen sangen durchweg auswendig, was erheblich zur Präsenz und Lebendigkeit der vorgetragenen Musik beitrug. Gleich im ersten Stück („Vosljublju tja / Ima nema“) glänzte der Chor, und er nahm den Saal mit seiner großen Energie, der guten Intonation komplexer harmonischer Strukturen und einem abwechslungsreichen Arrangement aus der Feder der (dirigentisch immer sehr exakten) Chorleiterin gefangen. Die Farbigkeit osteuropäischer Chortraditionen spiegelte sich im authentischen Sound des Chors wider. In seinem weiteren Programm trug Bulcanto viele musikalische Farben vor, die von Melancholie über Sehnsucht, Ernsthaftigkeit und tänzerische Elementen bis hin zu ausgelassener Fröhlichkeit geprägt waren. Immer wieder lösten sich Solistinnen aus der Gruppe, die mit hohem stimmlichen Können Melodien über Chorharmonien sangen. Vor allem in ruhigen und harmonisch weniger aufwändigen Stücken (wie dem traditionellen „Ya isgrev slantse“) zeigte der Chor seine hohe Qualität zur klanglichen Homogenität. Mit einem großartig vorgetragenen schwungvollen Volkslied („Oi, shope, shope“) und dem Hochzeitslied „Svatba“) beendete Bulcanto seinen Beitrag und das Publikum honorierte den Vortrag mit wohlverdientem kräftigem Applaus.

Mit 13 Frauen- und elf Männerstimmen war der Coro Contrapunto ausgeglichener als Bulcanto besetzt. Vielleicht waren das und der insgesamt weichere Klang der Grund dafür, dass das Publikum ihn später mit einem beinahe frenetischen Applaus in die Pause entlassen sollte (abgesehen davon, dass eine große Anhängerschar den Weg nach Tiergarten genommen hatte). Das Neuköllner A-cappella-Ensemble sang eine ausgewogene Auswahl aus seinem Repertoire traditioneller lateinamerikanischer Chormusik. Mit dem tänzerischen „La Pollera Colorá“ eröffnete der Coro Contrapunto sein Programm und führte die Zuhörer*innen tief in bunte Welten Südamerikas, in denen (oft tanzende) Menschen und ihre vielfältigen Beziehungen zueinander, zur Natur der Regenwälder, der Ebenen und der Küsten und zur Kultur der Städte besungen wurden. Drei Stücke, die das klangliche und intonatorische Potenzial des Chors aufzeigten, gefielen mir besonders: „Oilando“, in dem mit Ruhe und Ehrfurcht um Schutz im imposanten Regenwald gebeten wird, „Hanacpachap Cussicuinin“, das als erstes polyphones Musikstück Lateinamerikas gilt (Komponist: Juan Pérez de Bocanegra) und in der Quechua-Sprache zugleich an die Muttergottes und die Mutter Erde gerichtet ist, sowie das traditionelle „Sola Camisola“ , das ursprünglich ein Lied war, das den Tod junger Seelen begleitete. Beim Tango Argentino „Los Mareados“ von Juan Carlos Cobián als Abschluss vor der Pause holte die sehr engagierte und mit viel Bewegung dirigierende Chorleiterin noch einmal alles aus dem Chor heraus. Ich habe den Coro Contrapunto nun zum ersten Mal gehört und ich möchte ihn gerne wiedersehen.

Tonraumfünf10 kenne ich schon seit Jahren, und ich konnte das vom Repertoire her breit aufgestellte Ensemble schon des Öfteren hören. Diese Mal hat mich der Chor mit seiner Auswahl von australischer Chormusik aus der Heimat seines erfahrenen und routinierten Chorleiters hoch erfreut. Gut, dass vorher die Pause war, immerhin befand sich meine Seele an diesem Nachmittag schon in zwei ganz anderen Kulturen. Mit großer Besetzung und mit großem Klang sang der Chor vor allem vom Leben am großen Ozean und der Natur Australiens, und charmant und leicht entführte mich tonraumfünf10 mit dem effektvollen „Tides of Ocean“ (Musik: Matthew Orlovich) so an die pazifische Küste. Barfüßig und locker sportlich gekleidet trug der 25köpfige Chor Werke und Arrangements von zeitgenössischen australischen Komponisten vor. Besonders schön waren „Come Sleep“ (Daniel Brinsmead), das mich an die Harmonik Ešenvalds erinnerte, und „Sea of Berries“ (Paul Jarman), das in harmonischen Wellen aufs offene Meer führte. Mit großem klanglichen Volumen und ausgewogenem Sound gelang das harmonisch anspruchsvolle „On the Banks of the Condamine“ (Iain Grandage) mit obligatem Didgeridoo (cool: Adam Harzuf) und Klavier (souverän: Maria Grimm), das auch als frisch produziertes Chorvideo im Internet zu finden ist. Auch alle anderen Musikstücke, die tonraumfünf10 vortrug, haben mich beeindruckt und werden ein guter Anlass dazu sein, mich mit der gegenwärtigen australischen Chormusik zu beschäftigen.

Alle drei Chöre beendeten das Konzerts gemeinsam mit „How Can You Catch The Wind“ von Dan Walker, und trotz ihrer je eigenen Farben und Stilistiken haben sich die Chöre zu einem (nach zwei Jahren Corona wahrhaft wohltuenden) großen und homogenen Finale in einem tollen bunten Haufen zusammengefunden.

„Kultur“ und das Zulassen eines von gegenseitiger Zuneigung und gegenseitigem Respekt geprägten Miteinanders der eigenen und anderer „Kulturen“ sind gute Gründe für fröhliche Freundschaften und Frieden unter den Völkern. Jetzt, da schon einige Tage nach dem Sonntagskonzert ins Land gestrichen sind und Wut und Trauer angesichts des Kriegs in Europa nicht vergehen wollen (und können), gewinnt für mich die Idee des Konzerts an immer größerer Bedeutung. Winds of Connection. Die drei Chöre haben dem Publikum im sehr gut gefüllten Kammermusiksaal gezeigt, dass die Berliner Chorszene nicht nur zu wundervollem Musizieren imstande ist, sondern auch, dass (und wie) Frieden und Eintracht in Verschiedenheit gelebt werden können. Dafür gebührt ihnen mindestens mein großer persönlicher Dank.

Carsten Albrecht

Nach oben


Sonntagskonzert Nr. 3 - Berlin, ick liebe Dir!

„BERLIN, ICK LIEBE DIR!“ - Unter diesem Motto stand das 3. Sonntagskonzert am 13.03.2022 im Kammermusiksaal der Philharmonie, zu dem die drei Popvokal-Chöre BerlinVokal (Leitung: Maximilian Kleinert), Landesjugendchor Berlin (LJC, Leitung: Bastian Holze) und mongrooves (Leitung: Bastian Holze) einluden.

Wer hinter dem charmanten Konzerttitel aber lediglich ein Feelgood-Chorkonzert vermutet hatte, wurde eines Besseren belehrt. Denn inhaltlich fassten die Chöre in ihren Songs und in den sie dramaturgisch sehr schlüssig verbindenden Moderationen die heißen Eisen an, die uns Berliner beschäftigen: Einsamkeit und Anonymität, die Wohnungsnot und der überhitzte Wohnungsmarkt, Diversität von Lebensformen, Fragen von Verwurzelung und auch das nervige und laute Berlin waren die großen Themen. Die Moderationen selbst übernahmen drei Chormitglieder aus den Reihen der mongrooves und BerlinVokal abwechselnd, die mit toller Spannung und intensivem Vortrag durch das Programm führten. Als expliziten Friedensappell gegen den Krieg in der Ukraine erhoben die Chöre ihre Stimmen in „You’re the voice“ in einer Adaption von B. Holze zu Beginn der zweiten Konzerthälfte.

Die überwiegende Zahl der 15 Arrangements und Adaptionen des Konzertes stammte von den beiden Chorleitern, die so ihren Chören die Songs quasi auf den Leib zugeschnitten haben. Besonders eindrucksvoll war am Ende des ersten Konzertteils das 80er-Jahre-Medley der mongrooves (Arr. B. Holze), das nicht nur von seiner schieren Länge beeindruckte (im 10 Sekunden-Takt wechselten die zitierten Hits, durch alle Genres und Sprachen, mit eindrucksvollem a cappella-Beatboxing des Dirigenten B. Holze), sondern auch von der Güte der Einstudierung: Tonarten, Tempi, Charakter: alles saß auf den Punkt, der Chor ließ den Zuhörer*innen keine Gelegenheit, die Konzentration abreißen zu lassen. Eine echte tour de force für Chor und Publikum, das die Nummer danach mit dem allergrößtem Beifall bedachte.

Gelungen war insgesamt die Dramaturgie der Übergänge, Umbauten, Chor- und Dirigentenwechsel und Moderationen. Geschickt gelöst war z.B. gleich der Konzertbeginn: mit einem gemeinsam gesummten Liegeton betraten die knapp 60 Sänger*innen aller drei Chöre in gemischter Aufstellung die Bühne und den Block C, die Dirigenten positionierten sich unauffällig davor und dahinter, um im Doppeldirigat verschiedene Blickachsen zu ermöglichen. Gleichzeitig begann, mit Mikrofon verstärkt, die erste Moderation und nahtlose schloss sich der Beginn des ersten Songs an. Ein sehr guter und atmosphärischer Einstieg!

Wenig später eine andere tolle Idee: der Umbau zwischen den beiden Fassungen von „Dat Du min leevsten bist“: Als erster Chor, der an diesem Nachmittag alleine sang, begann BerlinVokal seinen Beitrag. Musikalisch souverän und sehr bühnenerfahren wirkte das ab dem ersten Moment. Im Rücken der Sänger*innen, quasi an einander gelehnt und mit Blick in die entgegengesetze Richtung, standen die mongrooves schon bereit. Am Ende des Stückes dann, quasi atacca, der Dirigentewechsel und synchrones Umdrehen und Umstellen der beiden Chöre, mit Masken Auf- und absetzen, und Songbeginn der mongrooves. Hier wurden die Masken sehr geschickt in die Choreographie eingebaut und insgesamt machte die geschmeidige ganze Raumdramaturgie des Nachmittags den Gedanken an die pandemiebedingten Einschränkungen quasi vergessen. Ein Verdienst der Planung und Einstudierung des Konzertes als durchlaufende Gesamtdramturgie!

Das komplette a cappella-Konzert sangen die Chöre auswendig (alle Sänger*innen aus dem Klassikbereich können darüber immer wieder nur staunen …) und performten intensiv und souverän. Toll gesungen waren die vielen Soli aus den Reihen der Chöre, ausdrucksstark und einfühlsam Momente war z.B. das Bass-Solo zu Beginn von „creep“ des LJC. Es freut zu erleben, wie dieser immer noch „junge“ Chor es geschafft hat, zusammenzuwachsen und seinen Klang zu finden, immer homogener, insbesondere angesichts der schwierigen Umstände, die seine (Neu-)Gründungsphase umgeben. Auch hier überzeugte die Souveränität der Performance und die große persönliche Hingabe der Sänger*innen. 

Besondere Strahlkraft im Konzert hatten die dramaturgisch klug gesetzten großen tutti-Momente, z.B. beim Song „Under the bridge“ von den Red Hot Chili Peppers. BerlinVokal begann allein, zentral auf der Bühne, die beiden anderen Chöre scheinbar als bloße Zuhörer*innen im Blöck C in ihrem Rücken. Bei der Klimax dann aber standen die beiden Partnerchöre auf einmal auf, wie eine Wand und verstärken den Chorus aus vollem Hals, ein echter Gänsehautmoment. Spannend und in diesem Raum auch mutig war im zweiten Konzertteil dann die Anordnung der vier (!) diagonal um die Bühne verteilten Clapping-Duos, die mit durchlaufenden Sechzehntelpattern bei „You’re the voice“ sehr stabil performten. Das tutti wollte hier manchmal mit „seinen“ Clappingmomenten etwas eiliger voran, was Dirigent Bastian Holze aber stets wieder moderieren konnte.

Nach dem abschließenden Berlin-Medley aller Chöre (mit groovigem Beat-Box von M. Kleinert) und dem großen Applaus waren sich alle einig, dass es den großen Aufwand und das Engagement auf Seiten der Beteiligten gelohnt hat. Klar wird in so einem Moment: Wir können nur weiterkommen und bewahren, wenn wir trotz der Schwierigkeiten dran bleiben und weitersingen und performen. Vielen Dank für den schönen Konzertnachmittag!

Tobias Walenciak

Nach oben


Sonntagskonzert Nr. 4 - Leiden und Leidenschaft

Jazzvocals – Matthias Knoche

Spirited – Ilja Panzer

zimmmt – Nane Bache

 

Leiden und Leidenschaft – Passionsmusik in Jazz und Pop

JazzVocals, Spirited und zimmmt – drei Jazz- und Popchöre gestalteten das 4. Sonntagskonzert.

Ein Konzert mit dem Titel „Leiden und Leidenschaft – Passionsmusik in Jazz und Pop“ wenige Tage vor Ostern suggerierte – naheliegend – zunächst barocke Vokalmusik. Aber Passionsmusik in Jazz und Pop? Wie würde die Verbindung gelingen?

Im kurzen Gespräch mit Matthias Knoche, Chorleiter der JazzVocals und Initiator des Konzertes, wurde der Zusammenhang schnell deutlich - die Passionszeit als Zeit der „inneren Einkehr und der Suche nach Antworten auf allgemeine Lebensfragen“ zu verstehen und musikalisch zu gestalten: „Die Eindrücke und Erlebnisse der Pandemie, der Verlust geliebter Menschen und die Gegenwärtigkeit eines Krieges in Europa stellen vermeintliche Gewissheiten infrage“, schreibt er im Vorwort des Programmheftes. Und so erschloss sich schließlich die Dramaturgie des Konzertes:

Die wechselnden Auftritte der Chöre wurden jeweils durch einen Bachchoral miteinander verbunden. Ein mutiges Unterfangen – gehören diese doch nicht zum Standardrepertoire von Jazz- und Popchören, sind aber doch andererseits eine musikalische Quelle des gesanglichen Miteinander. Sorgsam ausgewählt eröffneten sie immer wieder für neue gedankliche und klangliche Perspektiven. Bekannte Choräle wie „Wenn ich einmal soll scheiden, so scheide nicht von mir“ und „Ich will hier bei dir stehen, verachte mich doch nicht“ klangen, gesungen im typisch luftigen Sound von Jazzchören, vertraut und doch anders.

Das Konzert wurde von allen drei Chören gemeinsam umrahmt: „Find The Cost Of Freedom“ und „Dust In The Wind”, gesetzt von Matthias Knoche, bildeten gelungene Eröffnung und Abschluss der wechselnden Auftritte der drei Chöre.

Die JazzVocals beeindruckten mit einem homogenen Chorklang, präzisem Timing, anspruchsvollen Arrangements, exzellenter Intonation und passendem Staging. Beatboxing und Vocal-Percussion, verbunden mit einem verstärkten Lead-Bass, verliehen dem Chor zudem einen groovigen und tiefwarmen Sound. Mit ihrem Gesang zeigten die JazzVocals wieder einmal, dass sie zu den renommierten Jazz- und Popchören Deutschlands gehören.

Zimmmt unter der Leitung von Nane Bache eroberte mit ausgeklügelten Choraufstellungen und Choreografien die Bühne. Der Chor sang ohne Chordirigat, was einerseits eine besondere Innigkeit zum Publikum erzeugte, andererseits vom Chor Souveränität und Ensemblevertrauen forderte. Finnisch, Japanisch, Englisch, Deutsch – zimmmt zeigte sich mit wunderbaren Arrangements von seiner internationalen Seite und sang sich von Titel zu Titel von seiner anfänglichen Befangenheit nach zwei Jahren Konzertpause frei. Ein besonderes Highlight war „Nandemonaiya“ – ein gelungenes Arrangement von Britta Dinkelbach, das zimmmt mit großer Hingabe sang.

Spirited ging einen etwas anderen Weg: Der Chor sang über Verlust und Trennung, über Sehnsucht einerseits und seelische Verletzungen andererseits. In der Moderation durch den Chorleiter Ilja Panzer angekündigt, hatte sich der Chor für dieses Konzert an schwere und seiner Aussage nach an teils „unsingbare“ Arrangements herangewagt und diese, wenn auch noch nicht ganz perfekt, mit Engagement und Leidenschaft präsentiert.

Spirited spannte einen Bogen von „Skyfall“, dem funkigen „You Go Down Smooth“ und „Take Me Home“ von Pentatonix bis zu Billy Joels „And So It Goes“, hier im Satz von Kelly Kunz.

Das Publikum ließ sich von der Musik und der Risikobereitschaft des Chores gern mitreißen und honorierte kräftig.

Alle Chöre sangen selbstverständlich auswendig und moderierten ihre Auftritte mit gelungenen und kurzweiligen Ansagen, die dem Konzert eine stimmungsvolle und lockere Atmosphäre verliehen, kurze Einblicke in die jeweilige Chorarbeit zuließen, Zugänge zu den Songs verschafften und schlussendlich immer wieder den Blick auf die Leiden und Leidenschaften des Lebens richteten.

Eine respektvolle Dankesabsage rundete schließlich den gelungenen Nachmittag ab.  JazzVocals, zimmmt und Spirited – drei namhafte Jazz- und Popchöre Berlins, die uns mit ihren Songs zum Nachdenken, Innehalten einerseits, zum Zuhören und Erfreuen andererseits brachten.

Leiden und Leidenschaft – Passionsmusik in Jazz und Pop – der interessante musikalische Spagat gelang.

Vera Zweiniger


Sonntagskonzert Nr. 5 - Shall I Compare Thee?

Der Tag hat so wunderschön mit strahlendem Sonnenschein, wolkenfreiem Himmel und sehr angenehmen Temperaturen angefangen, dass man nur draußen bleiben wollte…

Aber die Musikfreunde, die zum Sonntagskonzert des Chorverbandes in die Philharmonie gekommen sind, bekamen noch viel mehr geschenkt: mittags wunderbares Wetter und nachmittags wunderschöne Klänge der Berliner Chöre.

Schon kurz nach 15 Uhr trafen die ersten Gäste ein. Manche blieben stehen, wartend auf Familie und Freunde, die anderen gingen hinein ins Foyer - ohne Stress und Eile, zeithabend für eine Unterhaltung, ein Glas Wein oder einen Kaffee…Und dann kurz vor 16 Uhr strömten sie in den Saal. Es kamen immer mehr und mehr Leute und dann ertönte der Saalgong. Endlich ging es los…

„Sommersalme“, das Anfangsstück, war ein Lied leicht wie eine Sommerbrise und sehr schön gesungen von allen drei Chören.

Danach blieb der Kammerchor Jeunesse Berlin auf der Bühne – mit Kompositionen von Monteverdi und von Schein, die Stimmen klangen ausgeglichen und es war eine interessante Interpretation. 

Als Kontrast hierzu stellte der Chor zwei Lieder von Jaakko Mäntyjärvi vor, mit ungewöhnlichen Sprach- und Klangeffekten. Der Auftritt des Chores unter der Leitung von Johannes Dasch wurde vom Publikum mit großer Aufmerksamkeit verfolgt und applaudiert.

Als nächster Chor trat das Luisen-Vokalensemble unter der sehr sicheren Leitung von Kalina Marszałek-Dworzynska auf. Die ersten zwei Lieder von Elgar und Brahms brachten romantische Stimmung in den Konzertsaal. Der Chor klang ausgeglichen und harmonisch. Die zwei nächsten Lieder von Saint-Saëns und Raczyński haben eindrucksvoll bestätigt, dass auch in kleiner Besetzung (16 Personen) wunderbare Klänge erzeugt werden können. Was mir gefallen hat, war der ausgeglichene Klang der sechs Männerstimmen in dem Ensemble.

 Mit der gemeinsam vorgetragenen stimmungsvollen Komposition „Ruhetal“ von Mendelssohn-Bartholdy entließen die drei Chöre das Publikum in die Pause, in der man sich mit Freunden und Bekannten, nach zwei Jahren Pandemie, endlich zum Erzählen und Plaudern begegnen konnte.

Nach der Pause kamen die gropies Berlin unter der Leitung von Johannes Dasch mit drei Songs von den Beatles auf die Bühne, die dem Publikum sehr gefallen haben. Danach folgte eine sehr lebendige Vorstellung des Sommertages mit der Großfamilie im Garten in dem Stück „Haus am See“ komponiert von Pierre Baigorry. Sehr amüsant!! Mit „Summertime“ von Gershwin, einfühlsam begleitet von Kalina Marszałek-Dworzynski am Klavier, beendeten die gropies Berlin unter der sehr aufmerksamen Leitung von Johannes Dasch ihren Auftritt.

Karol Borsuk


Sonntagskonzert Nr. 6 - Starke Frauen, Sentimentale Männer?

Junger Kammerchor Berlin I Leitung: Juliane Roever

Collegium Musicum Berlin I Leitung: Donka Miteva

Neuer Männerchor Berlin I Leitung: Adrian Emans

 

Starke Frauen - sentimentale Männer?

Es gehört schon viel Geschick und Erfahrung, Organisationstalent und Nächstenliebe dazu, ein solches Konzertprogramm zu konzipieren und umzusetzen, in dem drei hochambitionierte Chöre einerseits ihre individuelle Qualität unter Beweis stellen können, andererseits aber auch in einzelnen Werken in voller Klangpracht zusammenwirken sollen, aber auch die Auf- und Abgänge der Formationen sinnvoll zu planen, die Massen auf der Bühne zu ordnen – unter alles zudem noch unter einen inhaltlichen Roten Faden zu bringen! Dieses Konzert des Jungen Kammerchores Berlin (unter Leitung von Juliane Roever), des Collegium Musicum Berlin (unter Leitung von Donka Miteva) und des Neuen Männerchores Berlin (unter Leitung von Adrian Emans) war eine Augen- und Ohrenweide, und es war ein beglückendes Erlebnis, nach Zeiten des erzwungenen Abstands endlich wieder eine Bühne voll mit eng beieinanderstehenden Chorsängern zu sehen!

Das Programm stand unter dem Motto „Starke Frauen – sentimentale Männer?“ und kam diesmal vor allem den komponierenden Frauen zugute, die mit Fanny Hensel (1805-1847), Clara Schumann (1819-1896) und Lili Boulanger (1893-1918) prominent zum Zuge kamen und Großartiges zu bieten hatten. Von Fanny Hensel brachte der Junge Kammerchor Berlin vier Chorsätze auf Texte von Eichendorff, Lenau und Goethe zum Erklingen. Clara Schumanns drei venezianische Chöre, komponiert 1848 auf Texte von Emmanuel Geibel, wurden erst 1989 publiziert und waren auch für mich eine echte Neuentdeckung – wozu der anrührende Vortrag durch das Collegium Musicum Berlin sicherlich auch beitrug. Lili Boulangers „Hymne au soleil“, wieder vom Jungen Kammerchor gesungen, wurde durch ein „Madrigal“ ihres Lehrers und Förderers Gabriel Fauré ergänzt. Als „männliche Begleitung“ wurde Fanny Hensel ihr Bruder Felix Mendelssohn Bartholdy gegenübergestellt, dessen vielstimmige Schiller-Vertonung „Die Frauen und die Sänger“ von allen drei Chören gemeinsam als machtvoller Introitus vorgetragen wurde. Während Fanny Hensel durch ihre traditionsbewusste Familie immer wieder auf ihre eingeschränkten Wirkungsmöglichkeiten als „Frau des Hauses“ verwiesen wurde (so dass selbst Bruder Felix ihre ersten Publikationen nur mit süßsaurer Miene und gequälten Komplimenten registrierte), hatte Clara Wieck als Berufsmusikerin zunächst bessere Entfaltungschancen – bis nach ihrer Heirat ihr Gatte Robert Schumann sich zunächst als alleiniger Ernährer und schöpferisches Haupt der Familie ansah, bis dann nach kurzer Zeit Clara ihren Willen durchsetzte und als Virtuosin kräftig hinzuverdiente.

Den komponierenden Männern waren in diesem Konzertprogramm – zumindest im konzeptionell streng durchgetakteten 1. Teil – nur wenig Entfaltungschancen gegeben, denn gerade Mendelssohn und Fauré kamen nicht mit ihren Spitzenwerken daher. Einzige Ausnahme war da Franz Schubert, dessen bekanntes und wunderbares „Ständchen“ für Alt-Solo, Männerchor und Klavier auf Verse von Franz Grillparzer ein Höhepunkt dieses Teiles war (vor langer Zeit hatte ich selbst einmal den Klavierpart gespielt ...) Hier war nun der Neue Männerchor Berlin ganz in seinem Element, unterstützt von der Altistin Valerie Gels und Susan Wang am Klavier. Lili Boulangers „Sous Bois“ (Unterholz) auf ein Gedicht von Philippe Gille bildete das von den drei Chören gemeinsam gesungene Finale vor der Konzertpause.

War der 1. Teil thematisch stringent gestaltet, so der 2. Teil nun kleingliedriger und abwechslungsreicher geplant, denn der Neue Männerchor Berlin und das Collegium Musicum Berlin präsentierten Auszüge aus ihren Wettbewerbsprogrammen für den Berliner Chortreff am 25./26.6.2022. Da ging es nun Schlag auf Schlag: Volksliedbearbeitungen wechselten mit Modernem, Alte Meister wie Josquin oder Maddalena Casulana (gest. 1590) mit romantischen Chorklängen aus der Feder von Robert Schumann oder Albert Becker. Als Kirchenmusik-Praktiker halte ich mich zwar für ziemlich bibelfest, bei „Gapas“ des 1968 geborenen philippinischen Komponisten Eudenice Palaruan musste ich jedoch passen, denn der Text erklang in Ilokano-Sprache ... Mit Hilfe des Internets konnte ich den Text recherchieren und möchte ihn an dieser Stelle für alle Interessierten nachreichen: „Auf guten Boden ist das Wort bei denen gesät, die es hören und aufnehmen und Frucht bringen, dreißigfach, ja sechzigfach und hundertfach“ (Markus-Ev. 4,20). In rasanter Vielstimmigkeit wurde dieses Ausbreiten des Wortes sinnfällig in Chorklang übersetzt.

Ein Goethe-Chor aus den „Neuen Liebesliedern“ op. 65 von Johannes Brahms bildete das kurze Finale dieses Konzerts, in dem sich alle drei mitwirkenden Chöre noch einmal zum gemeinsamen Singen zusammenfanden, am Klavier abermals unterstützt von Susan Wang, die den im Original sogar vierhändigen Klavierpart souverän mit ihren zehn Fingern zusammenfasst

Verbunden mit einem Dank an alle Beteiligten und Organisatoren dieses großartigen Konzerts möchte ich meine Hoffnung zum Ausdruck bringen, dass die Sonntagskonzerte auch im kommenden Jahr auf diesem beglückenden künstlerischen Niveau fortgesetzt werden können!

Dietmar Hiller